DGPPN Kongress 2008 | 26.11.08 - 29.11.08 | Berlin
Fast jeder dritte Deutsche ist psychisch krank und keiner will es wissen...

Info: Ein Kollegengespräch darüber, ob es "normal" ist eine Therapie zu machen, warum psychisch Kranke oftmals als bekloppt abgestempelt werden, und was man selber tun kann, wenn man das Gefühl hat Hilfe zu benötigen. Dazu O-Töne von Experten des DGPPN-Kongresses und Meinungen von Passanten.

Anmoderation: Psychische Erkrankungen sind in Deutschland weiter verbreitet als es der ein oder andere vielleicht denken mag; fast jeder Dritte hat schon mal damit zu tun gehabt. Doch der Umgang mit Betroffenen ist noch sehr verhalten und zögerlich; es gibt nach wie vor viele Vorurteile und Klischeevorstellungen gegenüber therapeutischer Maßnahmen. Einerseits werden Erkrankte immer wieder für verrückt erklärt, andererseits gehen vor allem jüngere Menschen zunehmend offener mit dem Thema um. Die Stigmatisierung ist auch Gesprächspunkt des diesjährigen DGPPN-Kongresses; und unsere Reporterin Sarah Tschernigow ist in Berlin vor Ort...

Frage 1: Hallo Sarah, sag mal, wenn man hört, dass 30% der Deutschen psychisch erkrankt sind, dann klingt das ja unglaublich erschreckend. Welche Krankheiten und Defizite fallen denn überhaupt unter diese 30%?

Frage 2:
Ist es denn so, dass Menschen, die sich zu einer Therapie bekennen, in der Gesellschaft nicht richtig akzeptiert werden?

Frage 3:
Meinst du, dass diese Offenheit, gerade bei den jungen Leuten, vielleicht darin begründet liegt, dass man nach Amerika rüberschaut, wo sehr viel offensiver mit dem Thema umgegangen wird?

Frage 4:
Was kann ich denn tun, wenn ich das Gefühl habe, ich brauche Hilfe, ich hab da ein Problem, mit dem ich nicht mehr allein fertig werde?

Abmoderation:
Ja, Dankeschön Sarah Tschernigow, unsere Reporterin, die derzeit beim DGPPN-Kongress in Berlin zugegen ist. Hier ist es auch möglich, seine Fragen an Experten zu stellen. 

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Antwort 1: Ja, tatsächlich ist etwa jeder Dritte in Deutschland von einer psychischen Störung betroffen oder sagen wir, etwas weniger dramatisch, von einem psychischen Problem heimgesucht. Das fängt natürlich bei klassischen Suchterkrankungen an: Alkohol, Drogen, geht weiter über Zwangshandlungen, also Menschen, die sich z. B. nach jedem Kontakt mit anderen sofort die Hände waschen müssen oder 5 bis 10 mal kontrollieren, ob die Haustür auch tatsächlich abgeschlossen wurde. Und dann gibt es natürlich ganz weit verbreitete Phobien: Angst vor Spinnen, Angst vor großen Plätzen oder Menschenmassen, aber auch stark ausgeprägten Aggressionen oder Depressionen. Das heißt natürlich aber nicht, dass diese Menschen einen an der Waffel haben, und nicht jeder, der sich Hilfe holt, kommt gleich in die Psychiatrie und wird in eine Zwangsjacke gesteckt. Prof. Dr. Becker hat mir erklärt, dass das Ausmaß eines Problems in ganz unterschiedlichen Stufen verlaufen kann.
O-Ton

Antwort 2:
Na ja, das ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. Prof. Dr. Gaebel, Präsident der DGPPN, meint zum Beispiel, dass psychische Defizite noch sehr stark tabuisiert werden, also man spricht nicht gerne darüber und deshalb ist es vielen Menschen schlichtweg peinlich, zu Ihrer Erkrankung zu stehen.
O-Ton
Da habe ich mir gedacht, ich gehe mal in die Berliner Innenstadt und konfrontiere die Passanten mit dem Thema Psychiatrie und Psychotherapie - und da bot sich mir ein überraschend anderes Bild. Die meisten haben mir gesagt, sie finden es sehr gut, wenn jemand sich helfen lässt und wirklich jeder, den ich angesprochen habe, konnte sich vorstellen auch mal selber eine Therapie zu machen.
O-Ton  

Antwort 3:
Da ist natürlich was dran. In Amerika ist es sehr stark verbreitet, zum Therapeuten zu gehen, man spricht auch viel offener darüber. Allerdings scheint das doch eher eine Modeerscheinung zu sein, meint auch Prof. Gaebel.
O-Ton
Und auch die Passanten fanden diesen Trend übrigens sehr überzogen, denn es scheint eben nicht mehr darum zu gehen, ob jemand wirklich Hilfe benötigt, sondern es ist einfach cool und chic zu sagen: Ich gehe zum Psychiater.
O-Ton

Antwort 4:
Prof. Hohagen rät dazu, sich einfach erstmal beraten zu lassen, am besten beim Hausarzt. Es gibt letztendlich kein Heilungsrezept, es gibt keine Mustertherapie und nicht jede Heilungsmethode ist auch für jeden geeignet.
O-Ton
Die Experten hier warnen vor allem vor einem falschen Ehrgeiz. Es ist vollkommen legitim und auch nicht unnormal, wenn man feststellt: Ich habe ein Problem, ich brauche Hilfe.

O-Ton: Prof. Dr. med. Thomas Becker, ärztlicher Direktor, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Günzburg;
Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Präsident DGPPN, Düsseldorf;
diverse Passanten;
Prof. Dr. med. Fritz Hohagen, Präsident der DGPPN und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Lübeck
Länge: 3:57 (4 Antworten kürzbar)
Autor: Sarah Tschernigow

erstellt: 27.11.2008 
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